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Opferhaltung ist auf allen -nach Wilber oder Spiral Dynamics- first tier Entwicklungsstufen zu finden. Und da diese Stufen für persönliche Entwicklung und gleichermaßen auch für die Entwicklung von Systemen, Kulturen und Gemeinschaften ihre Gültigkeit (bewiesen) haben und wir da zu 98% drinnen stecken, ist es nicht verwunderlich, dass wir (als Coaches, Consultants und Trainer) immer mit den verschiedenen Spielarten der Opferhaltung konfrontiert sind. Und im professionellen Sinne natürlich auch “gefragt” sind. Denn mit Menschen, die in der Opferhaltung verharren, kann man vielleicht gut Politik oder Profite machen, aber keinen Blumentopf gewinnen, wenn es um ein eigenverantwortliches Leben und schon gar nicht um viel weiter gefasste Dinge, wie z.B. Conscious Business geht. Und das ist in der Regel unsere Klientel.

Dazu, was “man da machen” kann, vielleicht später mal mehr, hier nur ein Hinweis aus der Perspektive dieses Beitrags: Jemanden zu retten zu versuchen, der einen Teil seiner Identifikation über Opferhaltung pflegt ist ein hirnloses und erfolgloses Unterfangen. Hirnlos, weil vorher schon klar sein müsste, dass der Retter das System aufrecht erhält und das Opfer nur in der Annahme bestärkt, dass das “Leben” so ganz gut funktioniert und erfolglos, weil Opfer immer wieder Dramen inszenieren muss, die wieder neue Retter ins Spiel rufen um das System bzw. die Identität aufrecht zu erhalten. Damit ist gar nichts gewonnen. Das ist schnell so dahin gesagt; ich vermute übrigens, dass ein Großteil der Helfenden Berufe incl. Pädagogen und Coaches/Trainer unbewusst und meist in bester Absicht in diese Falle tappt, wertvolle Energie verschwendet, minimal effektiv arbeitet und über kurz oder lang ausbrennt.

Also zurück zum Thema: ich dachte, ich(!) bin mir dieses Themenkomplexes weitgehend bewusst, bis mir mein väterlicher Freund und Mentor BV eine sehr schöne Opfer Geschichte aus einem, für deutsche Verhältnisse sehr brauchbaren  Training erzählte.

Eine Teilnehmerin hatte sich -kurz gesagt- in ihren Gefühlen verstrickt, konnte dies weder auflösen noch angemessen  reflektieren-was bei der Art von Workshop ziemlich erstaunlich ist- und hat natürlich dem Seminarleiter -als dessen Opfer sie sich empfand- die “Schuld” an ihrem emotionalen Zustaänden gegeben. Auch klar, denn ohne Schuldigen funktioniert das Opfer System nicht. Und Formulierungen wie “ich hätte mir gewünscht – ich würde mir wünschen oder ich fühle mich verletzt” klingen nur noch für Laien nach einem Ausdruck einer Erwachesenen und selbstbestimmten Persönlichkeit, die eigentliche Botschaft dahinter ist -wie Wolf Büntig- schon vor Jahren gepredigt hat, ein Versuch dem anderen vulgo: eine Reinzuwürgen! – was in etlichen aufgeklärten Partnerschaften und Beziehungen immer noch als ein fortschrittlicher und auch so authentischer Ausdruck von Gefühlen gelobt und in etlichen Trainings und Therapien sogar gefördert wird. Und eine scheinbar hohe Entwicklungsstufe impliziert. Nix da – im wesentlichen ist das eine billige Retourkutsche eines mehr oder weniger tief verletzten Ichs: Du bist der Täter, du bist schuld daran, dass es mir sch… geht und jetzt kriegst du deinen Anteil (hier gut und geschickt verpackt).

Mein Freund und Mentor BV, der in dem Geschäft ein wirklich alter Hase ist, geht auf solche Spiele schon seit Jahren nicht mehr ein. Zum Leidwesen mancher Teilnehmer, übrigens. Was hier -in diesem Fall- allerdings auffällig war, ist etwas anderes, was mir so noch nie bewusst wurde. Das Opfer System ist nämlich nicht nur highly addictive, sondern auch highly infectious. Sozusagen die “Schweinegrippe” der Persönlichkeitsentwicklung. Und das trifft auch auf Systeme und Organisationen zu. Wenn der Tratsch in der Teeküche erstmal überhand nimmt, kann man (fast) nichts mehr machen, so stark ist der Sog, dass selbst “vernünftige” Mitarbeiter nicht mehr wieder zu erkennen sind. In Gruppenarbeit immer wieder erlebbar: einer(e) ist im Opfer und zelebriert das und schon finden sich die Helfer/Retter und die ganze Gruppe kann in ihren Prozessen nachhaltig gebremst werden; und dieser Virus spring auch sofort auf uns als CoachesTrainerTherapeuten über, wenn eine genügend starke Durchsetzung/Infektion stattgefunden hat.

Ich habe mich da spontan an einen Wochenendworkshop zur Teamentwicklung mit einem zerstrittenen Lehrerkollegium erinnert gefühlt, der von diesen Dynamiken völlig durchdrungen war. Nach 2 Tagen war ich zu meiner Verwunderung auch (wieder) im Opfer – hier (natürlich) das Opfer meiner Teilnehmer: die ständig zu spät kamen, keine Disziplin hatten, den Teamprozess wo auch immer sie konnten, beukottierten, die nicht lernen wollten etc. Mit ein paar Tagen mehr Zeit wäre das  sicher noch spannend geworden… So habe ich mich zuerst einmal nicht wieder erkannt: nach den 2 Tagen Workshop ist der Groll geblieben, die Suche nach Fehlern, die mentale Abrechnung mit Einzelnen, etc. also soziemlich die ganze Palette des verletzen kleinen Ichs.

Ich war genau dort angelangt, wo meine Gruppe war. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich mir dessen relativ schnell bewusst wurde und, dass ich diesen Zustand nicht schätze. Ich hatte allerdings gedacht, dass ich auf Grund meiner eigenen “Krankengeschichte” hinreichend immunisiert sei, was offensichtlich ein massiver Irrtum war. Dieser Virus ist hoch infektiös, was mir allerdings jetzt erst ansatzweise klar wird. Und ich denke, ich werde bei meiner eigenen Arbeit hier nochmal einen Scheit nach legen und diese  aggressive Dynamik weiter erforschen. Vielleicht ergibt sich ja 2011 die Möglichkeit im Rahmen einer experimentellen Gruppe dieses Hypothesen zur  Infektion, Verbreitung und Eindämmung des Opfervirus’ zu erforschen.